Aufgeben oder aufhören? "Mit mir nicht!"

Aufgeben oder aufhören? „Mit mir nicht!“

Wie eine Diaspora-Christin um ihre Gemeinde kämpft und was sie der neuen Landesbischöfin oder dem neuen Landesbischof sagen würde…

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irche der Zukunft? Da hat Hiltrud Hasselmeier eine klare Meinung: „Bei uns auf dem Land muß ma bei de Leid sei, egal wo!“ Und wenn Sie der neuen Bischöfin oder dem neuen Bischof persönlich etwas sagen könnte, dann das: „Ihr dürft uns hier in der Diaspora nicht vergessen!“. Über 50 Kilometer in der Diagonale erstreckt sich die Gemeinde im niederbayerischen Arnstorf. Seit 1975 kämpft die Protestfrau mit schwäbischem Akzent um ihre evangelisches Kirche. 35 Jahre war sie Religions-Lehrerin, von 1984 bis 2021 Lektorin und dann Prädikantin. Sie war „Chefredakteurin“ des Gemeindebriefes, Mitbegründerin des hiesigen Kirchenchores „Jubilate“, Vertrauensfrau des Kirchenvorstandes und Mitglied im Präsidium des Dekanatsausschusses. Oder anders ausgedrückt: Acht Pfarrerinnern und Pfarrer kamen und gingen, Hiltrud Hasselmeier blieb.
Sieben Vakanzen hat die gebürtige Stuttgarterin in Arnstorf miterlebt. Aufgeben oder aufhören? „Mit  mir nicht!“, bekennt die überzeugte Lutheranerin. Diese oft pfarrer-losen Zeiten waren die Motivation für ihre Zusatzausbildung zur Prädikantin. Ihr Vorname ist Sinnbild eines großen Trotzes: Der Name Hiltrud steht für „die mit dem Kampf vertraute“.

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Bildrechte Thomas Klenner

Fast alle 685 Arnstorfer Gemeindeglieder kennen Frau Hasselmeier. Und die 78jährige „Kümmerin“ kennt ihre „Schäflein“, wie sie die Evangelischen liebevoll nennt. So erzählt der 55jährige Heizungs-Installateur, der gerade das Haus der „kämpferischen Hiltrud“ verlässt, voller Stolz: „Frau Hasselmeier war in der Grundschule meine Reli-Lehrerin!“
Der Mann erinnert sich an eine Zeit, in der er wie alle andere Schüler nach dem Unterricht wieder heimgebracht wurde. „Damals war der evangelische Religionsunterricht immer am Freitag-Nachmittag, da waren wir die einzigen in der Schule und ein Bus fuhr auch nicht mehr. Die Eltern waren meist berufstätig“, erzählt die lutherische Lehrerin von den widrigen Umständen. „Einmal wurden wird sogar aus Versehen im Abstellzimmer, das unser Unterrichtsraum war, eingesperrt. Nur ein Fenster konnten wir öffnen. Die Kinder riefen und winkten um Hilfe. Doch die Passanten verstanden das falsch und lobten das gute Benehmen der Schüler“, bemerkt Hiltrud Hasselmeier. Heute lacht sie darüber.
Damals hat sie sich nicht unterkriegen lassen, fuhr wöchentlich bis zu 300 Kilometer, um die Evangelischen zu unterrichten. Die Arnstorfer loben das protestantische Kämpferherz der Frau Lehrerin.

„Wenn heute meine ehemaligen Schülerinnen und Schüler ihre Kinder taufen und auch schon konfirmieren lassen, dann freuen sie sich, wenn ihre alte Lehrerin am Gottesdienst teilnimmt“, erzählt sie stolz.

Seit 2021 ist Hiltrud Hasselmeier zwar keine Prädikantin mehr, aber ihr Talar ist für sie zum Symbol geworden. „Der Talar steht für Zuversicht. Wir lassen uns hier in der Diaspora nicht unterkriegen“, bekennt sie. Deswegen ist sie auch für Veränderungen offen und rechnet damit, dass die Evangelischen in Arnstorf künftig anderen Gemeinden zugeteilt werden. Trotzdem: „Wir Evangelischen auf dem Land verdienen Aufmerksamkeit“, fordert die kämpferische Seniorin.

Zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Töchtern ist Hiltrud Hasselmeier einst von Stuttgart über München nach Arnstorf gezogen. Von der Großstadt aufs Land. Und zusammen mit ihrem Mann Heinz wird sie auch weiterhin das lutherische Fähnchen im katholisch geprägten Niederbayern hochhalten. Allerdings hat sie auch klare Vorstellungen, wie das künftig gelingen kann. „Gebt den Pfarrerinnen und Pfarrern wieder mehr Zeit für Besuche und persönliche Gespräche“, bittet sie. „Was helfen uns Alten digitale Gemeindebriefe und Veranstaltungshinweise im Internet, wenn kein Pfarrer aus Zeitgründen uns besuchen kann?“, fragt sie.
Und noch einen Wunsch hat Hiltrud Hasselmeier an die lutherische Führungsspitze: „Bitte veröffentlicht doch wieder die Geburtstage im Gemeindebrief. Nur so können wir uns gegenseitig besuchen und Kontakt halten!“ Darauf seien die Diaspora-Evangelischen auf dem Lande besonders angewiesen. Frau Hasselmeier zieht am Ende nochmals ihren Talar an, denkt an die Bischofswahl und wird in diesem Moment wieder ganz Lehrerin: „Wie heißt es so passend im Jakobusbrief? Seid Täter des Wortes, nicht Hörer allein!“                                                                
Autor: Thomas Klenner

 

 

Hinweise zu den Bildern:

Bild 1: Hiltrud Hasselmeier (78) im symbolträchtigen Prädikanten-Talar und einem Gemeindebrief.

 

Bild 2: „Vielen Dank fürs Ehrenamt!“ (v.li.): Gemeindepfarrer Robert Schön, Dekanin Dr. Nina Lubomierski, Kirchenmusikdirektor Volker Gloßner und Martin Kreft, Vertrauensmann des Arnstorfer Kirchenvorstands, bedanken sich bei Hiltrud Hasselmeier (mi.) für über 30 Jahre Lektoren- und Prädikantendienst.